Winfried Schumacher Dresden, den 19.11.22
„Oh, hier fallen ja die Blätter von den Bäumen“, „Bei uns schlafen die Autos nicht nachts auf den Straßen“, „Ich musste mir noch einen Pulli borgen wegen der Kälte“. So oder ähnlich brachten die kongolesischen Gäste ihre neuen Erfahrungen zum Ausdruck. Ja, es ist schon ein Unterschied, ob sie in Dresden das schöne Elbtal im Oktober erleben oder die warme Trockenzeit in Brazzaville an den gigantischen Strom des Kongo.
Fünf Schüler und drei Lehrer aus dem Lycée Chaminade in Brazzaville in der Republik Kongo besuchten vom 6.Oktober bis zum 13.Oktober unsere Stadt. Sie waren hier im Rahmen eines Austausches mit ihren Partnern aus dem Romain-Rolland-Gymnasium. Die Gäste lernten im Lycée Chaminade in Brazzaville , was den deutschen Klassen 10-12 des Gymnasiums entspricht, Deutsch. Offiziell handelte es sich um eine Anbahnungsreise, die ausloten sollte, ob eine Zusammenarbeit zwischen zwei Schulen aus solch unterschiedlichen Kulturkreisen und 6150 km Luftlinie voneinander entfernt, Sinn macht. Sicher ist Brazzaville seit 1975 Partnerstadt von Dresden, aber rund 12 Stunden Flug über Paris oder über Addis Abeba in Äthiopien machen die Kontakte nicht eben leichter.
Aber die Stadt Dresden unter Oberbürgermeister Dirk Hilbert und engagierte Bürger aus der Stadtgesellschaft bemühen sich seit einigen Jahren, diese Partnerschaft durch Initiativen mit neuen Leben zu erfüllen. In diesem Rahmen waren Dresdner Schüler vom 14.Mai bis 22.Mai in Brazzaville gewesen. Dabei ist das Lycée Chaminade eines der acht Schulen in Brazzaville, an denen auch Deutsch als Unterrichtsfach angeboten wird. Etwas, was zunächst einmal in dieser ehemals französischen Kolonie überrascht. Staatssprache ist in der Republik Kongo Französisch, im Alltag werden aber auch einheimische Sprachen benutzt wie z.B Lingala.
Als der Verantwortliche für diesen Austausch möchte ich festhalten: Die Bemühungen und das große Maß an Vorbereitung lohnen sich. Man wird sich bei dieser Arbeit bewusst, dass hier unterschiedliche Mentalitäten, Prägungen und Vorstellungen von Verwaltung und Organisation aufeinanderstoßen.
Menschen unterschiedlicher Kulturkreise, dies ich begegnen, können immer voneinander lernen. Im gemeinsamen Kochen in den Gastfamilien kamen sich Jugendliche beider Nationen näher, sei es bei der Zubereitung von sächsischen Sauerbraten oder beim Fufu aus Maniok, einer stärkereichen Wurzelknolle, die in Brazzaville eine Art Grundnahrungsmittel darstellt. Essen in einer Schulkantine war für die kongolesischen Gäste auch etwas völlig Neues, da es diese in Schulen im Kongo nicht gibt.
Bei der Arbeit im Unterricht: Bei den Gästen konnte ich eine Freude am Lernen feststellen. Immer wieder haben sie versucht, das Gespräch auf Deutsch zu führen, auch wenn dies nicht immer zum Ziel führte. Bei Unterrichtsbesuchen stellten die Kongolesen interessante Dinge fest: zuerst einmal weniger Schüler in der Klasse, aber auch eine legere Haltung der deutschen Schüler gegenüber ihren Lehrern . Das Interesse an neuen Methoden für den Unterricht war groß. Unüberwindbar steht dort aber ein Problem: im Kongo haben Klassen oft 60 Schüler und mehr. Das ist schülerorientierter Unterricht schwer umzusetzen. Auch fehlen dort simple Dinge oder sind nur beschränkt vorhanden, die bei uns selbstverständlich sind wie z.B. geeignetes Schreibmaterial wie Papier oder Stifte.
Diese jungen Menschen haben zum ersten Mal das Land gesehen, dessen Sprache sie lernen, konnten diese Sprache zum ersten Mal in realen Lebenssituationen anwenden. Wir konnten durch geeignete Materialien und pädagogische Hinweise den Unterricht vor Ort unterstützen. Und es ist schon eine Ehre und macht Freude, zu sehen, wie Menschen in ihrer afrikanischen Umwelt, weit weg vom deutschen Sprachgebiet sich für Deutsch und die deutsche Kultur engagieren. Wir sollten sie weiter dabei unterstützen.
Das Familienleben machte natürlich ebenfalls große Unterschied deutlich. Die Dresdner Schüler waren auch in Brazzaville bei ihren Partnern in deren Familien untergebracht. Die Wohn- und Lebensverhältnisse waren deutlich einfacher, was Kochen auf einer Kochstelle, Schlafen in einem Raum auf Matratzen oder Waschen am Wasserhahn bedeutete. Und in diesen Wohnungen waren die Dresdner Jugendlichen nie allein, so viele Mitglieder gehörten zur Familie oder fanden sich ein, um die Gäste zu begrüßen.
Natürlich lernten beide Gruppen die jeweiligen wichtigen Akzentsetzungen bei der r eigenen Geschichte und Kultur des Landes kennen. Uns beeindruckte die Erzählung im Mausoleum von Pierre Savorgnan de Brazza. Brazza ist der erste Europäer, der in diesen Teil des Kongo vordrang und dort 1880 einige Hütten an der Stelle als Handelsstation bauen ließ, wo heute die Millionenstadt Brazzaville steht. Er hat dort sein Marmorgrab in einem prunkvollen Glasgebäude und wir als „Vater der Nation“ verehrt. Kongolesische Gäste durften hier in Dresden über die Werke staunen, die das Augusteische Zeitalter hervorgebracht hat. Die Felsformationen der Sächsischen Schweiz beeindruckte ebenfalls junge Menschen, die aus einer Ebene an einem riesigen Strom angereist sind.
Natürlich sind solche Maßnahmen nicht ohne finanzielle Unterstützung möglich. Hier hat ENSA, ein Förderprogramm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, großzügig mit Geldern geholfen. Die Stadt Dresden hat uns bei der Durchführung der Maßnahme vielseitig unterstützt.
Was hat dieser Austausch darüber hinaus im Allgemeinen gebracht? Junge Menschen haben ihre Weltsicht erweitert, über ihren bisherigen Erfahrungshorizont hinausgeschaut. Ihre Anpassungsfähigkeit wurde herausgefordert, eine ferne Kultur wurde ansatzweise kennen- und wertschätzen gelernt. Eigenes Erleben ermöglicht es, Wissen aus zweiter Hand oder auch ungerechtfertigte pauschale Kritiken und vorgefertigte Meinungen einem „Praxistest“ zu unterwerfen. Eigenes Erleben kann zu begründeteren Urteilen führen, Verständnis für die Lage in der anderen Stadt oder dem Land schaffen, evtl. sogar zur Hochschätzung des Partners und zu einer gemeinsamen Kommunikation, um nach Lösungen suchen können. Es wächst die er Erkenntnis, dass es verschiedene Wege zu Zufriedenheit und gelingendem Leben gibt als der eigene oder die eigene Gewohnheit. So haben Menschen unterschiedlicher Herkunft, Mentalität, Charakter und Erfahrungen, die Chance gehabt, sich kennen zu lernen und auszutauschen. Sie wären sich sonst nie begegnet. Ist es nicht dies, was die vornehmste Aufgabe einer Städtepartnerschaft sein soll. In diesem Sinne ist der Partnerschaft zwischen Brazzaville und Dresden ein weiters Aufblühen zu wünschen.
Winfried Schumacher