Unter dem Blickwinkel von Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit und Ökologie wird gegenwärtig vielfach eine Bauwende proklamiert, bei der die Wertschätzung des historischen Baubestandes immer mehr in den Mittelpunkt rückt. Es wird zunehmend als Verpflichtung angesehen, die Zukunft vor allem mit dem vorhandenen baulichen Erbe zu denken, das als Ressource und klimaschonendes Potential bereits vorhanden ist. Zugleich entwickeln sich in baukulturellen Prozessen neue Formen des Miteinanders, die bestehende Strukturen sektoralen Denkens und Handelns aufbrechen.
Das Erfordernis einer Bauwende begründet sich somit durch kulturelle, gesellschaftliche und klimapolitische Anliegen, die eine fundamentale Korrektur etablierter Strukturen bedingen. Diese sind bislang durch Normen, Gewohnheiten, politische Entscheidungen systemisch abgesichert und prägen die Architekturausbildung.
In diesem System genießt der Gebäudebestand, von rund drei Prozent denkmalgeschützten Gebäuden abgesehen, keinerlei Schutz vor Abbruch, obwohl er
- ebenso wie Kulturdenkmale Teil des baukulturellen Erbes ist,
- Lebensraum und Träger von Geschichte, Erinnerungen, Identität darstellt,
- schon vorhanden ist und als graue Energie klimaschonende Potentiale besitzt,
- als Basis für urbane Verdichtungen in Stadt und Land dienen kann.
Der immense Ressourcenverbrauch durch Abbruch und Neubau bedarf dringend einer Kehrtwende, die sich einer verantwortlichen, ressourcenschonenden und gemeinschaftlich getragenen Baukultur im Bestand zuwendet. Die Denkmalpflege versteht sich nicht als Hindernis, sondern als Unterstützer der Bauwende. Sie bietet mit ihrer Erfahrung und Expertise bei der Erhaltung, Analyse, Bewertung, Pflege, Nutzung und Weiterentwicklung von Bestandsbauten ihre konstruktive Zusammenarbeit mit allen am Planen und Bauen beteiligten Disziplinen an. Das baukulturelle, denkmalgeschützte Erbe dient der Bauwende als Orientierung und Wegweiser.
Die Unterzeichnenden der DRESDNER ERKLÄRUNG sehen folgende Handlungsfelder:
Bauwende braucht Lehrwende! Die Ausbildung von Architekt/-innen muss den Bestand weit mehr in den Blick nehmen als bisher. Keine Feigenblätter mehr, kein Verstecken hinter den immerhin etablierten Lehrstühlen für Denkmalpflege, in denen dies schon selbstverständlich ist. Es geht alle an. Bauen im Bestand und dessen Transformation bedingen ein Verstehen der Gebäude und ihres stadtgeschichtlichen wie stadträumlichen Kontextes, weg vom Entwurf des bildhaften Objekts hin zum Reparieren und Nachnutzen. Die Studierenden wollen und brauchen das methodische, geschichtliche und bautechnische Handwerkszeug, um für die Aufgaben der Gegenwart und Zukunft gerüstet zu sein. Dies gilt auch für die Ausbildung an Berufsschulen, bei der die praktische Zusammenarbeit zwischen Planung und Ausführung unbedingt stärker in den Fokus zu rücken ist.
Haltung vor Handschrift! Bauen im Bestand, dessen Transformation und die Moderation der Bauwende bedürfen einer auf Analyse, Erfahrung, Auseinandersetzung mit dem bereits vorhandenen Objekt und seiner Geschichte fußenden Haltung. Diese muss vor der Handschrift der Architekt/-innen stehen.
Substanzerhalt hat Priorität! Vordergründiges Ziel von Denkmal- und Bestandspflege muss die ökonomische und ökologische, Ressourcen schonende Weiternutzung bzw. Wiedernutzung des Bestands sein. Nur so erfolgen Aneignung und Wertschätzung des Bestands – gerade auch im ländlichen Raum. Die Pflege von Substanz und Erscheinungsbild sind dabei zwei ineinandergreifende Seiten. Eine oft noch praktizierte reine Antlitzpflege wird diesem Ansatz in der Regel nicht gerecht, denn die Erhaltung von Bausubstanz kann nicht durch die Wiederherstellung vergangener Erscheinungsbilder ersetzt werden. Zielstellungen können helfen, in weiteren Transformationsschritten die Substanz qualifiziert weiterzuentwickeln. Dabei stellen etwa die Planung mit kreislauffähigen Materialien und Verbindungen, das gesunde Bauen mit ökologisch unbedenklichen Stoffen, die Zukunftsfähigkeit der Baumaßnahme und eine positive Klimabilanz wichtige qualitative Aspekte für einen substanzgerechten Umgang dar.
Vorsprung durch Technik? Der Glaube, alle Probleme am und im Gebäude seien mit mehr Technik zu lösen, bedarf einer kritischen Revision. Vielmehr sollte an einfache und oftmals schon erprobte Lösungen erinnert und diese wieder ins kollektive Bewusstsein gebracht werden. Um ressourcenschonend zu bauen und zu leben, muss das Nutzungsverhalten hinterfragt und angepasst werden, statt durch immer mehr und nur vermeintlich besseren technischen Aufwand abgesichert zu werden. Mehr Bescheidenheit üben!
Weiterbauen im Bestand! Ein Gebäude ist nie fertig gebaut. Stetiges Reparieren und Weiterbauen, Pflegen und Transformieren bzw. Bauen in Etappen sind kontinuierliche Aufgaben, die die Zukunft des Gebäudes sichern. Dies setzt das Aufbrechen von Sektorendenken und ein Aufeinander-Zugehen in einem moderierten Miteinander voraus. Baukultur sollte als Prozesskultur verstanden werden, die auf Transdisziplinarität im Sinne eines gleichberechtigten Agierens aller Beteiligten basiert und natürlich auch aus Fehlern lernen darf. Gemeinsam statt einsam!
Der anonyme Bestand muss einen Wert erhalten! Überprüfung, Betreuung und Pflege der „sonstigen erhaltenswerten Bausubstanz“ sind verlässlich und verantwortungsvoll in kompetente Hände zu legen. Denkmalpfleger/-innen und Denkmalschützer/-innen können hierbei kooperativ ihre vielfältigen Erfahrungen und Kenntnisse mit einbringen. Instrumente des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege, etwa Denkmalbereichssatzungen, sind durch flankierende, den nicht geschützten Bestand betreffende Ortsanalysen und Wertepläne zu ergänzen. Hier ist das Engagement von öffentlicher Verwaltung und Politik gefragt!
Abbruch erschweren! Die Beseitigung baulicher Anlagen muss durch eine Pflicht zur Beantragung einer Abbruchgenehmigung, welche die nicht sinnfällige/nicht wirtschaftliche Nachnutzbarkeit des Vorhandenen belegt, erschwert werden. Es bedarf einer Beweislastumkehr in dem Sinne, dass jeder Abbruch von baulichen Anlagen nach Kriterien der gesellschaftlichen Verantwortung unter Genehmigungsvorbehalt gestellt wird. Entsprechend ist der materielle Schutz für Bestandsbauten - über das Recht des Denkmalschutzes hinaus - auch in den Landesbauordnungen und im Bauplanungsrecht zu verankern.
Altes ist kein Abfall - das wissen die Denkmalpflegenden am besten. Ihr Wissen ist für die nachhaltige Bestandspflege zu nutzen. Hierfür müssen Plattformen der Kommunikation und Vermittlung ausgebaut und neu geschaffen werden. Die kulturelle Bildung im Rahmen des Bestandserhalts muss gefördert werden. Ohne Wissenschaft und vermittelnde Arbeit gibt es keinen Erhalt. Mit Respekt für Fachkenntnisse beteiligter Gewerke, Wissen um den Wert der Objekte für Gegenwart und Zukunft und die Motivation für ihren Erhalt, Sensibilität für ihre Haptik und immanenten Werte lassen sich Verständnis, kostbares Wissen und nachhaltiger Umgang mit Ressourcen auf viele Schultern verteilen. Besonderes Augenmerk ist auf die Weiter- und Wiederverwendung sowie Reparaturfähigkeit überlieferter Materialien sowie auf bestandsgerechte Handwerkstechnik zu legen. Technische Lösungsansätze für die Wiederverwendung historischer Materialien und einer damit verbundenen notwendigen Funktionserweiterung für die heutige Gebäudenutzung sind dafür vorhanden.
Netzwerke, Ehrenamt und Partizipation als Chance begreifen! Denkmal- und Bestandspflege sind nicht ohne zivilgesellschaftliches Engagement denkbar. Die Rettung vieler vom Abriss bedrohter Gebäude und die anschließende In-Wert-Setzung und Nachnutzung wurde oftmals durch Privatpersonen und Vereine ermöglicht. Diese soziale, kulturelle und emotionale Kraft „von unten“ kann zu einem Motor für die Bauwende werden. Die politischen Rahmenbedingungen dafür müssen aber stimmen: baukulturelles Engagement bis hin zur Netzwerkarbeit ist weiter zu fördern und zu befördern. Vorhandene Ansätze öffentlicher Förderung des Bauens im Bestand sind auszuweiten. Dialogformate, Wissenschaft und Vermittlung müssen entsprechend ausgerichtet werden. Netzwerke und Ehrenamt zukunftsfähig machen!
Dresden, den 1. November 2024
Die Erstunterzeichnenden sind Teilnehmer/-innen der 6. Dresdner Denkmalfachtagung „Zukunft?! Der Beitrag der Denkmalpflege zur Bauwende“:
Dr. phil. Dr.-Ing. Kirsten Angermann, Bauhaus-Universität Weimar
Stefan Beate, Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin
Felix Bellmann B. A. Architektur, Ehrenamtlich Beauftragter für Denkmalpflege Landkreis SOE
Roger Caspar, Architekt, Bauordnungsamt/Denkmalschutz, Landkreis Oder-Spree
Fridtjof Florian Dossin M.A., Bauhaus-Universität Weimar
Dr.-Ing. Iris Engelmann, Bauhaus-Universität Weimar
Dr.-Ing. Mark Escherich, Stadtdenkmalpfleger, Landeshauptstadt Erfurt
Hartmut Gräfe, ehrenamtlich Beauftragter für Denkmalpflege im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge
Ralf Große, Stadtdenkmalpflege, Große Kreisstadt Hoyerswerda
Dr. Lothar Herlitze, Sollingglas Bau und Veredlungs GmbH & Co. KG, Derental
Dipl.-Ing. Andreas Hirt, im Namen des Teams des Denkmalnetzes Sachsen
Philipp F. Huntscha M. A., LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland
Dipl.-Rest. Markus Huschenbeth, Denkmalpflege Mühlhausen Huschenbeth GmbH & Co. KG
Dr.-Ing. Hans-Joachim Jäger, Vors. des FB Heimatgeschichte/Denkmalpflege des LV Sächs. Heimatschutz e. V.
Hans-Achim Körber, Lübeck
Christine Kral, Dipl.-Ing. Architektin, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Fabian Kröning M. A., LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland
Dr. Sven Kuhrau, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland
Andreas Landwehr, Kreis Segeberg, Bauaufsicht/Brandschutz/Denkmalpflege
Sylvia Lemke M.A., Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Marie Mamerow, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum
Anette Mittring M.A., Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Berit Moschke, SGL Denkmalschutz; Landratsamt Bautzen
Valentin Petri, Denkmalpflege Mühlhausen Huschenbeth GmbH & Co. KG
Dr. Ralf-Peter Pinkwart, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen
Dipl.-Ing. Alexander Poetzsch, AP Architekturen Dresden
Stefan Resch, steidle Architekten Gesellschaft von Architekten und Stadtplanern mbH, München
Juliane Richter, M. A., Bauhaus-Universität Weimar
Heiko Schanze, Sollingglas Bau und Veredlungs GmbH & Co. KG, Derental
Carolin Schmidt M. A., Institut für Graue Energie e. V.
Claudia Schmidt, Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement, Dresden
Dr. Bernhard Sterra, Amt für Kultur und Denkmalschutz, Landeshauptstadt Dresden
Sandra Stoye, Landratsamt Bautzen
Susanne Ulbrich M.A., Landesamt für Denkmalpflege Sachsen
Dr.-Ing. Johannes Warda, Universität Bamberg
Christoph Wendland, Naturbau-Campus Oschatz
Dipl.-Ing. Peter Writschan, Stadtkonservator, Hanse- und Universitätsstadt Rostock