Landeshauptstadt Dresden - www.dresden.de https://www.dresden.de/de/kultur/kunst-und-kultur/erinnerungskultur-regionalgeschichte/Gedenkobelisk-Neu.php 15.11.2023 14:59:43 Uhr 21.11.2024 14:16:38 Uhr |
Der Gedenkobelisk in Dresden Nickern
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„Denkmäler sagen meistens sehr wenig aus über das, wofür sie stehen, oder über die, deren Namen auf ihnen verewigt sind – viel aber sagen sie aus über die Menschen, die sie erdacht / geplant / entworfen / gestaltet / finanziert haben, und über die Menschen, die die Denkmäler seit der Errichtung in regelmäßigen rituellen Handlungen pflegen und damit den ‚Sinn‘, den die Errichtenden dem Denkmal geben wollten, zu aktualisieren versuchen“.
(Prof. Dr. Alf Schönfeldt, Gegenwind, Zeitschrift für Politik und Kultur, Nr. 129, 1999)</p>
Ein Beispiel dafür ist der Gedenkobelisk in Dresden-Nickern. Im Oktober 1920, zur Erinnerung an die 18 gefallenen Soldaten aus Dresden-Nickern, im Ersten Weltkrieges fertiggestellt, wurde er nach der Zerstörung Dresdens 1945 für die Opfer der Luftangriffe auf Dresden umgewidmet und mit einer der damaligen Geschichtspolitik entsprechenden Inschrift versehen: „1945, 13. Februar – Wir gedenken der Opfer des anglo-amerikanischen Bombenterrors“ steht auf der einen Seite des Obelisken. Die Inschrift auf einer zweiten Seite des Obelisken lautet: „Dass sie nicht sinnlos in den Gräbern ruhn // liegt nur an unserm Willen // unserm Tun“ (um 1946/47 verändert).
Das SED-Regime übernahm teilweise wörtlich die NS-Propaganda vom „anglo-amerikanischen Bombenterror“, um den neuen Feind im Westen zu diskreditieren und damit gleichzeitig den Mythos von der unschuldigen Kunst- und Kulturstadt zu propagieren.
In den vergangenen Jahren entzündeten sich an diesem Ort immer wieder Konflikte über die Frage, wie im öffentlichen Raum an die Geschehnisse des 13. Februar 1945 erinnert werden soll.
Der 13. Februar ist bis heute in Dresden ein zentraler Kristallisationspunkt der städtischen Erinnerungskultur, der seit 1945 umkämpft ist und politisch-ideologisch von wechselnden Parteien angeeignet wird; zunächst vom nationalsozialistischen Regime, dann von der sowjetischen Militäradministration und der DDR-Regierung, ab 1990 dann von neo-nationalsozialistischen Gruppen. Dagegen hat sich allerdings seit etwa 2001 allmählich eine breitere, zuerst zivilgesellschaftliche, aber sukzessive auch staatliche Institutionen und Kunst- und Kulturschaffende einschließende Allianz zur Wehr gesetzt.
Geformt aus dem Blickwinkel der Gegenwart, reflektieren Erinnerungszeichen die jeweiligen Befindlichkeiten einer Gesellschaft und ihr Verhältnis zur Vergangenheit. Der Obelisk bot mehrfach Anlass zur Diskussion, war Ziel zahlreicher Aktivitäten und zeigte sich im strafrechtlich relevanten Verhalten von Extremisten jeglicher Couleur im Umfeld des Gedenkens an den 13. Februar. Zwischen diesen beiden Diskursen versuchten engagierte Bürgerinnen und Bürger aus dem Stadtbezirk, den Ort aus einer differenzierten Perspektive zu betrachten. Mit dem Beschluss Umgestaltung des Gedenkobelisken in Dresden-Nickern (SR/031/2016) wurde der Oberbürgermeister beauftragt, „das Areal mit dem Gedenkstein so zu gestalten, dass sowohl die Erinnerung an die Toten der beiden Weltkriege als auch die kritische Auseinandersetzung mit den Ursachen für Krieg und Vernichtung ermöglicht wird.“
Auf Grundlage des Stadtratsbeschlusses wurde in der AG 13. Februar eine Arbeitsgruppe eingesetzt. In dieser waren neben Mitgliedern von Stadtratsfraktionen, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (Landesverband Sachsen), der Verein Denk Mal Fort! e.V. – Die Erinnerungswerkstatt Dresden, der Dresdner Geschichtsverein e. V. und MEMORARE PACEM - Gesellschaft für Friedenskultur e.V. vertreten. Die Arbeitsgruppe hat unter der Leitung des Amtes für Kultur und Denkmalschutz ein Konzept entwickelt, das geschichtspolitisch kontroverse Orte in Dresden identifiziert, für die historisch-politische Bildung erschließt und adäquat aufbereitet.
Die konzeptionelle Ausgestaltung des betreffenden Stadtratsbeschlusses wurde dahingehend in die Wege geleitet. Am 18. Mai 2021 wurde die Vorlage V0655/20, „Erinnern und Vergessen – Unbequeme Gedenkobjekte“ – Grundsätze zum Umgang und Dialog mit kritischen Gedenkobjekten im öffentlichen Raum der Landeshauptstadt Dresden – Der Gedenkobelisk in Dresden-Nickern als Modellprojekt zur historischen-politischen Bildung in Dresden – durch den Ausschuss für Kultur und Tourismus (KT/025/2021) mit folgendem Text für den Informationsträger beschlossen:
Der Obelisk in Nickern – Geschichte und Rezeption
Dieses Denkmal in Form eines Obelisken wurde 1920 im Gedenken an die im Ersten Weltkrieg gefallenen 18 Soldaten aus Dresden-Nickern errichtet. Als Ort der Erinnerung erfüllte er gleich mehrere Funktionen. Wie andere Kommunen und Kirchgemeinden auch begnügten sich die Nickerner mit einem schlichten namentlichen Vermerk der Gefallenen. Der Obelisk diente als Inschrifttafelträger. Nationale oder religiös sinnstiftende Aufschriften fehlten völlig. Den Angehörigen und der Dorfgemeinschaft sollte Trost im Verlust gespendet werden und das Denkmal so als Ersatz für die Gräber der Gefallenen dienen. Man konnte den Obelisken aber auch als Appell an die Überlebenden des Krieges verstehen, die Toten zu ehren und den Frieden zu wahren. 25 Jahre später veränderte sich das Denkmal: Im Zweiten Weltkrieg, bei den Luftangriffen am 13. und 14. Februar 1945, wurde die damalige „Gauhauptstadt“ Dresden großflächig zerstört. Große Teile der Stadt lagen in Trümmern, so wie viele andere Orte in Deutschland und Europa auch.
Durch sogenannte Notabwürfe alliierter Bomber wurden auch in Nickern Wohngebäude getroffen. Dabei kamen Zivilisten und Soldaten ums Leben. Ihnen zum Gedächtnis wurde das Denkmal umgestaltet. "Wir gedenken der Opfer des anglo-amerikanischen Bombenterrors" war nun dort zu lesen. Später, vermutlich 1946, folgte eine weitere Inschrift: „Dass sie nicht sinnlos in den Gräbern ruhn // liegt nur an unserm Willen // unserm Tun“. Danach erfüllen die Lebenden einen Auftrag der Toten – welchen aber, das definieren die Nachgeborenen selbst.
Die Ereignisse des 13. und 14. Februar wurden bald zu einem wirkmächtigen Mythos, der lange zurückreichende Dresdner Selbstbilder mit der Vorstellung einer „unschuldigen“ und „einzigartigen“ Barockstadt verband. Die Angriffe britischer und amerikanischer Bomber auf Dresden im Zweiten Weltkrieg waren Teil des Kampfes der Alliierten gegen Nazideutschland, die Geschichtspolitik der DDR formte daraus eine Anklage gegen die Westmächte. Das SED-Regime übernahm wörtlich die nationalsozialistische Propaganda-Floskel vom „anglo-amerikanischen Bombenterror“, um den neuen Feind im Westen zu diskreditieren. Seit der obengenannten Umgestaltung unmittelbar nach Kriegsende trägt das Denkmal die noch heute lesbare Inschrift, die sich direkt auf die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges beziehen. 1945 markiert aber auch den Beginn einer Zeit des Friedens, die in Mitteleuropa bis heute andauert. Doch die Erinnerungen an Krieg und Gewalt prägen unser Leben bis in unsere Tage weiter. Am Beginn des 21. Jahrhunderts erleben wir in ganz Europa die Rückkehr nationalistischer Überzeugungen und Haltungen. Gerade deshalb bleibt es wichtig, dass wir gemeinsam an die Opfer der Kriege und vergangenes Unrecht erinnern. Dies kann zur Voraussetzung für ein friedliches Miteinander werden.
Voraussetzung für den Zugang zum unbequemen Denkmal ist dabei dessen Anwesenheit. Die Anwesenheit ermöglicht die Diskussion um das Denkmal und die dabei aufgezeigten Konflikte führen zur Reflektion. Dieser Prozess benötigt jedoch entsprechende Ressourcen, um produktiv und nachhaltig am Objekt zu arbeiten. Dieser Umgang führt zu einem mehrfach mit Bedeutung belegtem Erinnerungsort, der auch die verschiedenen Zugänge zum Thema aufweist.
Unbequeme Denkmäler geben, beschäftigt man sich eingehender mit ihnen, Einblick in Denken und Fühlen vergangener Generationen, in Machtverhältnisse, Herrschaftsstrategien und permanente Kämpfe um Deutungshoheit. Durch Kontextualisierung oder Ergänzung können sie in ein neues Licht gerückt werden und so – entgegen der Intention ihrer Erbauer – der historischen Aufarbeitung dienen.
In einem weiteren Schritt wird der Gedenkobelisk in Dresden Nickern als Pilotprojekt einer ganzen Reihe von weiteren Denkmalkontextualisierungen definiert. Neben diversen Denkmalen und Erinnerungszeichen zum 13. Februar beinhaltet dies beispielsweise „unbequeme Denkmale“ wie das Wandbild „Der Weg der Roten Fahne“, das sowjetische Ehrenmal am Olbrichtplatz oder das Theodor-Körner-Denkmal am Georgplatz.
Kurzgeschichte Dresden Nickern
Die Reste von vier jungsteinzeitlichen Kreisgrabenanlagen aus dem 6. und 5. Jahrtausend v. Chr. sind Beweise der frühen Besiedlung im Umfeld des Geberbaches. Die Häufung von vier Grabenanlagen auf etwa einem Quadratkilometer ist einzigartig. Neben zwei einfachen Kreisgrabenanlagen fand man 2002/2003 in diesem Gebiet eine Anlage mit doppeltem Graben und eine weitere Anlage mit vier konzentrischen Gräben und Spuren einer frühslawischen Siedlung.
Die Niederungen des Geberbaches boten den vermutlich frühesten, sesshaften Bewohnern des Elbtales fruchtbares Land. In der Nähe von Bannewitz entsprungen, fließt der Geberbach nach Nordosten, vereinigt sich bei Leuben mit einem Seitenarm des Lockwitzbaches, um als »Niedersedlitzer Flutgraben« in Tolkewitz in die Elbe zu münden.
Nickern wird erstmals mit dem Namen »“Nicur“« 1288 urkundlich erwähnt. Der Name des slawischen Dorfes wurde möglicherweise von einem Stammesältesten abgeleitet. Andere Deutungen stellen einen Bezug zum altslawischen „ni kuriti“ her. „Kuriti“ – für Rauchen, Räuchern, Brennen, Heizen – wird in der vermuteten Wortbedeutung verneint (also »nicht räuchern«) und kann mit der Landgewinnung durch Brandrodung zu tun haben. Im Jahr 1349 wird ein „allodium et curia“ (Rittersitz) aufgeführt. Dabei handelt es sich vermutlich um eine in der Sumpfniederung gelegene Wasserburg, deren Reste sich unter dem heutigen Schloss befinden dürften. 1693 ließ Hans von Bose das damals eingeschossige Gebäude in die noch heute erhaltene Form im ländlichen Barock umbauen. Das zweigeschossige Herrenhaus ist eines der ältesten Gebäude im Stadtgebiet Dresdens und damit sowohl bau- als auch ortsgeschichtlich von Bedeutung. Erst 1870 wurde der vorgelagerte Glockenturm in Anlehnung des sächsischen Landbarocks erbaut.
Bis in das 19. Jahrhundert lebten die Bewohner des Ortes von der Landwirtschaft und dem Obstbau. Mit der Industrialisierung wurden auch in Nickern viele Wohngebäude neu errichtet und der Anteil der landwirtschaftlichen Flächen eingeschränkt. In den 1930er-Jahren wurden große Teile der Nickerner Flur für das Militär umgenutzt. Es entstand eine Fliegerschule der Deutschen Luftwaffe. Kasernenbauten und andere militärische Anlagen veränderten das Landschaftsbild erheblich. Neben Altnickern mit seinem bis heute gut erhaltenen Dorfkern und seinem prachtvollen Schloss entstand die Siedlung Neunickern. Nickern wurde 1923 ins benachbarte Lockwitz und am 1. Januar 1930 nach Dresden eingemeindet.
Nach 1935 konkretisierten sich die Pläne der Nationalsozialisten für eine Besetzung der Tschechoslowakischen Republik. Um dafür eine entsprechend starke Unterstützung von Luftstreitkräften zur Verfügung zu haben, wurde 1937/38 ein ausgedehnter Kasernenkomplex der Deutschen Luftwaffe errichtet. Daran erinnert heute noch das Stabsgebäude an der Heinz-Bongartz-Straße 8.
Am Mittag des 14. Februars 1945 zerstörten bei einem Fliegerangriff amerikanische Bomber den größten Teil des alten Dorfes Nickern. Das Schloss, in dem die Verwaltung des Luftgaukommandos III untergebracht war, bleib weitestgehend unversehrt. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden auf den enteigneten Rittergutfeldern ausgedehnte Obstplantagen. Bauern schlossen sich zur Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) „Florian Geyer“ zusammen. Die Liegenschaften der ehemaligen Deutschen Luftwaffe nutzte ab 1945 eine Panzerdivision der sowjetischen Streitkräfte. Von hier aus rückte die Panzerdivision der Roten Armee 1968 zur Niederschlagung des Prager Frühlings aus. Nach dem Abzug der russischen Panzer 1992/93 übertrug die Bundesrepublik Deutschland die verlassene Militärbrache in Nickern an den Freistaat Sachsen. Neben der Beseitigung von Altlasten wurde damit der Weg für eine komplette Neuordnung des Gebietes frei. Zu Beginn der städtebaulichen Entwicklung bot das Gelände einen trostlosen Anblick. Altlasten und Munitionsreste warteten auf eine fachgerechte Entsorgung. Bauwerke waren verfallen und bis auf wenige Gebäude für eine künftige Nutzung nicht verwendungsfähig. Große versiegelte Flächen sowie unterirdische Bauwerke und Leitungen standen zunächst einer baulichen Neuentwicklung entgegen.
Die Entwicklung der Brachfläche begann 1994 mit dem Ziel, den steigenden Bedarf an Wohnraum, insbesondere die Nachfrage nach Flächen für den Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern zu decken. Damit sollte auch dem Trend der Abwanderung von jungen Familien in die Nachbargemeinden entgegengewirkt werden, wo sie bessere Möglichkeiten für den Eigenheimbau vorfanden. Die Herausforderung bestand darin, ein ungeordnetes, verwildertes Gebiet zu einem kleinen Stadtteil innerhalb Nickerns neu zu entwickeln. Grundlage für die weitere Entwicklung waren der Kauf der 56 Hektargroßen Brachfläche durch die Landeshauptstadt Dresden und der Beginn eines formellen Förderverfahrens 1994 unter der Bezeichnung „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme Nickern“. „Leben zwischen Stadt und Land“ war die Leitidee für die Entwicklung zu einem Wohngebiet.
Zwischen 1995 und 1997 wurden alle nicht mehr benötigten und nicht sanierungsfähigen Gebäude abgebrochen und der komplette ehemals militärische Bereich entsiegelt, die Aufstellflächen, die Panzerstraßen sowie sämtliche bauliche militärische Anlagen rückgebaut. Zur Vorbereitung der späteren baulichen Entwicklung mussten in einem weiteren Schritt bis 2007 alle Versorgungsleitungen, künftige Straßen und Fußwege neu gebaut und gleichzeitig die Anbindung des neuen Wohngebietes an den öffentlichen Personen- und Nahverkehr konzipiert werden. Im Bebauungsplan waren fast die Hälfte der ehemaligen Brachflächen für große und nah gelegene Grün- und Freiflächen, Parkanlagen und Spielplätze vorgesehen und wurden deshalb nicht bebaut oder versiegelt.
Virtueller Rundgang Obelisk Nickern
Eine 360 Grad-Ansicht des Obelisken finden Sie hier.
Dieses Projekt wurde gefördert und freundlich unterstützt durch die Integrations- und Ausländerbeauftragte und durch die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen/Senioren der Landeshauptstadt Dresden.