Landeshauptstadt Dresden - www.dresden.de https://www.dresden.de/de/rathaus/aktuelles/pressemitteilungen/2010/03/pm_060.php 29.05.2015 02:06:50 Uhr 30.11.2024 01:41:02 Uhr |
Dresdner Historikerkommission veröffentlicht ihren Abschlussbericht
Die von der Landeshauptstadt Dresden beauftragte »Historikerkommission zu den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945« beendet am 17. März 2010 ihre Untersuchungen mit der Veröffentlichung eines Abschlussberichts. Nach der Übergabe an Oberbürgermeisterin Helma Orosz wird der Bericht am selben Tag im städtischen Internetauftritt und in einer Buchpublikation für die Öffentlichkeit bereitgestellt.
Die
Kommission war im November 2004 im Ergebnis bürgerschaftlicher Diskussionen zur
Dresdner Erinnerungskultur durch den damaligen Oberbürgermeister Ingolf Roßberg
berufen worden. Nach kontroversen Debatten wurde sie im Januar 2007 durch den
Stadtrat bestätigt und mit dem notwendigen Forschungsbudget versehen. Gleichzeitig
erweiterte und präzisierte der Stadtratsbeschluss die Aufgabenstellung der
Kommission.
Untersuchungen
zur Zahl der im Februar 1945 in Dresden getöteten Menschen
Auftrag
der Kommission sollte es sein, den »aktuellen Forschungsstand zur Zahl der
durch die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 getöteten Menschen
festzustellen«. Dieser Aspekt des historischen Geschehens wird bis in die
Gegenwart hinein kontrovers diskutiert: Die Spannbreite der dabei behaupteten
Zahlen ist groß; sie reicht von ca. 20.000 bis zu 500.000, in Einzelfällen gar
bis zu einer Million getöteter Menschen. Dies ist keine allein
lokalgeschichtliche Streitfrage: Das Erinnern an die alliierten Luftangriffe
auf Dresden – symbolisch adressiert im Datum des Jahrestages 13. Februar –
besitzt nach wie vor aktuelle Bedeutung in den gesellschaftspolitischen
Auseinandersetzungen um Geschichtsbilder, Gesellschaftsentwürfe und
Identitäten. In diesem Diskurs ist die Zahl der durch die Luftangriffe auf
Dresden getöteten Menschen seit langem zu einem zentralen Argument geworden, in
dessen Verwendung sich Bewertungen und Haltungen bündeln.
Die Untersuchung konnte nicht darauf abzielen, jeden einzelnen im Februar 1945 in Dresden getöteten Menschen mit Sicherheit zu erfassen. Wohl aber sollte die Zahl der Toten in ihrer Größenordnung, also mit einer wesentlich geringeren Schwankungsbreite als in der aktuellen Debatte, ermittelt werden. Dies ist der Kommission gelungen. Wesentliches Merkmal der Forschungsarbeit waren sowohl der außergewöhnlich breite interdisziplinärer Ansatz als auch der intensive Gebrauch elektronischer Informationsverarbeitung.
Nach einer kritischen Untersuchung der Überlieferungen in deutschen und ausländischen Archiven beschloss die Expertengruppe, eine vollständig neue Ermittlung der Zahl der Dresdner Luftkriegstoten vorzunehmen. Dazu verfolgte sie drei verschiedene Ansätze: Zunächst wurde versucht, eine Bevölkerungsbilanz der Menschen in Dresden vor und nach den Februar-Luftangriffen 1945 zu erstellen, was sich angesichts fehlender kohärenter Nachweise jedoch als unmöglich erwies. Dagegen gelang es, sowohl über eine Einzelfallerfassung von dokumentarischen Nachweisen aus Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten als auch über die Auswertung der Unterlagen des Personenstandswesens unabhängig voneinander die Zahl der im Februar 1945 in Dresden getöteten Menschen zu ermitteln.
Im Ergebnis intensiver Recherchen konnten in den Archiven, in den Unterlagen der Friedhöfe in und außerhalb Dresdens, in den Nachweisen der Standesämter und Amtsgerichte fast 60.000 Einzelnachweise in einer elektronischen Datenbasis erfasst werden. In der Mehrzahl der Fälle liegen dabei mehrere Nachweise für eine getötete Person vor. Erfasst wurden sowohl namentlich bekannte als auch unbekannte Tote. Anhand dieser Daten wurde es möglich, die Abläufe der Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten weitgehend zu rekonstruieren. In den Untersuchungen zum Personenstandswesen wurde zunächst die Zahl der in den Dresdner Standesämtern beurkundeten Sterbefälle, die mit den Luftangriffen im Februar 1945 im Zusammenhang stehen, ermittelt. Parallel erfolgte die Auswertung aller bundesweit seit 1945 vorgenommenen Todeserklärungen zu Dresdner Luftkriegstoten. Im Ergebnis beider Untersuchungen stellte die Kommission fest, dass die Luftangriffe auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 den Tod von bis zu 25.000 Menschen zur Folge hatten. Damit bestätigen sich offizielle Zahlenangaben der zuständigen Behörden aus den Jahren 1945 und 1946.
Die neu ermittelte Zahl der Luftkriegstoten in Dresden wurde in mehreren Untersuchungen auf ihre Plausibilität geprüft. Weder in der dokumentarischen Überlieferung, noch in den zahlreichen Argumentationen und Erzählbildern aus Literatur und Medien konnten belastbare Argumente festgestellt werden, die das Ergebnis in Frage stellen.
Die Kommission hat insbesondere zahlreiche persönliche Erinnerungszeugnisse untersucht und nachgewiesen, dass nur eine kleine Minderheit der Augenzeugen Angaben zur Gesamtzahl der Luftkriegstoten in Dresden machen will und kann. Oft zitierte Erinnerungsberichte, die wesentlich höhere Totenzahlen aus vermeintlich autorisierter Quelle berichten, sind von der Kommission exemplarisch hinterfragt und als spekulativ bewertet worden.
Aus mehrfacher Perspektive setzte sich die Kommission mit der Zahl der in Dresden getöteten Flüchtlinge auseinander, die häufig als sehr hoch angenommen wird. Die Analyse der Einzelfallnachweise machte jedoch deutlich, dass der Anteil von Flüchtlingen an den Dresdner Luftkriegstoten gering war. Dieses Ergebnis bestätigte sich auch bei der statistischen Auswertung der Unterlagen bundesweit agierender Such- und Nachweisdienste.
Ebenso wenig bewahrheiteten sich populäre Annahmen, dass zahlreiche getötete Menschen in Dresden nicht geborgen worden seien. Sowohl im Ergebnis der räumlichen Analyse der Bergungen als auch in der Auswertung der archäologischen Untersuchungen in zentralen Stadtgebieten Dresdens kann dies für eine größere Zahl getöteter Menschen ausgeschlossen werden. Auch die weit verbreitete Vermutung, die Bergung und Bestattung der getöteten Menschen sei so lückenhaft dokumentiert worden, dass sich eine Ermittlung der Totenzahlen als unmöglich erweisen würde, bestätigte sich nicht. Zwar mussten die zuständigen Behörden angesichts der Größe der Katastrophe und der Zeitumstände in vielen Fällen improvisieren, dennoch geht die Kommission von einer weitgehend geordneten Erfassung zumindest der Zahl der getöteten Menschen aus. Dies gilt sowohl für die Bergungen bis zum Kriegsende als auch für die Arbeiten in den Jahren danach. Die Kommission untersuchte zudem, ob zahlreiche Menschen in den Großbränden der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 so rückstandlos verbrannt sein könnten, dass eine Registratur unmöglich gewesen wäre. Im Ergebnis materialtechnischer und archäologischer Untersuchungen wurde deutlich, dass die dazu notwendigen Bedingungen allenfalls punktuell erreicht worden sind.
In einem weiteren Untersuchungsansatz ordnete die Kommission die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten in den historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges ein – sowohl im Hinblick auf die militärischen Abläufe des strategischen Luftkriegs als auch in Bezug auf die Gesamtbilanz ziviler Verluste. In beiden Perspektiven sind Totenzahlen im sechsstelligen Bereich allein in Dresden nicht darstellbar. Alle genannten Untersuchungsperspektiven stützen das ermittelte Ergebnis schlüssig.
Untersuchungen
zu Tieffliegerangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945
Ergänzend
zur ursprünglichen Aufgabenstellung beauftragte der Stadtrat die Kommission mit
der Klärung der Frage, ob während der alliierten Luftangriffe im Februar 1945
tieffliegende Flugzeuge eingesetzt waren und die Bevölkerung aus Bordwaffen
beschossen wurde.
Im Ergebnis der Auswertung militärischer und ziviler Dokumente aus deutschen und alliierten Quellen konnten Tieffliegerangriffe zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 auf das Stadtgebiet von Dresden ausgeschlossen werden. Eine breit angelegte Analyse von Augenzeugenberichten ergab ein widersprüchliches Bild: Während in der Mehrzahl Tieffliegerangriffe keine Rolle spielen, berichten einige wenige Augenzeugen von solchen Angriffen durch ein einzelnes oder eine geringe Anzahl von Flugzeugen. Auf der Basis solcher Berichte führte die Kommission archäologische Untersuchungen an mehreren Stellen des Stadtgebietes aus, die keinen Nachweis für Bordwaffenbeschuss erbrachten.
Untersuchung
der Erinnerungen von Dresdnerinnen und Dresdnern
Die Sammlung und Auswertung subjektiver Erinnerungszeugnisse stellte einen
unverzichtbaren Teil der Untersuchung dar, insbesondere um parallele
Forschungen fachlich auszurichten und deren Ergebnisse kritisch zu
hinterfragen. Ausgehend von einem expliziten Auftrag des Dresdner Stadtrats
erschloss bzw. erstellte die Kommission subjektive Überlieferungen von 1.314
Personen der Erlebnisgeneration, darunter 90 lebensgeschichtliche Interviews.
Die Analyse dieser Erinnerungszeugnisse machte deren hohen Wert für die Erforschung
der »erlebten Geschichte« deutlich. Am konkreten Beispiel konnten
wissenschaftliche Erkenntnisse zum Zusammenhang von Erinnern und Vergangenheitsrekonstruktion
bestätigt werden.
Bei der Auswertung strittiger Erinnerungen und Interpretationen wies die Kommission nach, dass populäre Zuschreibungen von Erzählbildern an die Gesamtheit der Zeitzeugen (etwa das Festhalten an einer extrem hohen Zahl der Dresdner Luftkriegstoten) unzulässige Pauschalisierungen darstellen. Gleichzeitig belegten die Untersuchungen die Einflüsse kollektiver Meinungsbildungen, öffentlicher Debatten etc. auf das persönliche Erinnern.
In der intensiven Auseinandersetzung mit den Erinnerungen der Augenzeugen erschloss sich der Kommission die menschliche Dimension der Dresdner Katastrophe im Februar 1945 noch einmal besonders deutlich. Auch die elektronische Datenbasis mit ihren personengenauen Nachweisen macht jenseits der bloßen Zahlen das individuelle Leid der Betroffenen sichtbar. Die Kommission versteht ihre Arbeit als einen Beitrag dazu, mit einer wissenschaftlichen Darstellung der geschichtlichen Abläufe verantwortlich an das Schicksal der in Dresden getöteten Menschen zu erinnern.
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