Warum kam es zum Aufstand in der DDR?
Im Juni 1953 kam es überall in der DDR zu Streiks, Demonstrationen und Protesten. In über 560 Orten brachten die Bürgerinnen und Bürger ihren Unmut über die SED-Herrschaft zum Ausdruck. Bereits die Jahre zuvor begann es mehr und mehr zu brodeln. Während die SED den Aufbau zum Sozialismus beschleunigen wollte, stimmte die Bevölkerung mit den Füßen ab; 182.400 Personen flüchteten im Jahr 1952 aus der DDR nach Westdeutschland. Im ersten Halbjahr 1953 waren es bereits 226.000 Menschen. Eine Reihe von politischen Entscheidungen wie die Abschaffung der Länder oder eine politische Strafjustiz zeigten mehr als deutlich die fehlende demokratische Legitimation der SED-Herrschaft.
Hohe Lebensmittelpreise
Der Unmut der Bevölkerung entzündete sich nicht allein an den politischen Verhältnissen in der DDR. Die Versorgungslage der Bevölkerung wurde zunehmend schlechter, da die Führung strikt auf den Ausbau der Schwerindustrie setzte. Butter, und Öl, aber auch Obst und Gemüse wurden knapp. Die weiter vorangetriebene Enteignung landwirtschaftlicher Betriebe verschärfte die Situation. Die Grundnahrungsmittel wurden rationiert. Der Einkauf zusätzlicher Lebensmittel in den HO-Geschäften scheiterte häufig an den teuren Preisen. Ein Pfund Margarine kostete 4 Mark, ein Pfund Wurst bis zu 9,50 Mark. Das Durchschnittseinkommen eines Arbeiters lag damals bei 313 Mark, während Mitglieder und Kandidaten des Politbüros mit 1950 Mark fast das sechsfache Gehalt erhielten. Bereits im Frühling 1953 kam es schließlich zu weiteren Preiserhöhungen, um die Nachfrage zu bremsen und den Mangel zu überdecken. Ebenfalls wurden in dieser Zeit bestimmte Personengruppen wie Kleinunternehmer oder Selbständige vom Bezug von Lebensmittelkarten ausgeschlossen.
Erste Proteste
Die DDR befand sich Anfang der fünfziger Jahre in einer schweren Krise. Bereits 1952 kommt es zu vereinzelten Streiks und Protesten. Als Ende Mai 1953 schließlich die Arbeitsnormen um mindestens 10 Prozent erhöht werden sollen, spitzt sich die Lage weiter zu. Die SED sah sich zum Handeln gezwungen und beschließt im Juni 1953 einen „Neuen Kurs". Erstmals wurden öffentlich Fehler zugegeben und Entscheidungen hinterfragt, vereinzelt auch zurückgezogen. Die Lebensbedingungen sollten auf diese Weise wieder besser werden.
Doch eine Entscheidung blieb unumstößlich: Die Normerhöhungen. Vielmehr wurde die Entscheidung noch am 16. Juni 1953 als notwendig und richtig bezeichnet. Dies brachte das Fass zum Überlaufen. Maurer, Zimmerleute und Bauarbeiter der Berliner Großbaustellen Krankenhaus Friedrichshain und Stalinallee waren die ersten, die am 16. Juni 1953 ihre Kellen niederlegten, um gegen die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu protestieren. Tausende in der DDR sollten es ihnen in den folgenden Tagen nachtun.
Was geschah in Dresden?
Die Telefondrähte zwischen der SED-Führung in Berlin und der Bezirksleitung Dresden begannen schon in der Nacht zum 17. Juni 1953 zu glühen. Die Berliner Genossen warnten die Dresdner Kollegen vor angeblich westdeutschen Provokateuren, die aus Berlin kommend, für Unruhe in Betrieben des Bezirks Dresden sorgen wollten. Auch die Sicherheitsbehörden wie das MfS und die Volkspolizei wurden eingehend über mögliche Proteste informiert und in Bereitschaft versetzt. Am frühen Morgen des 17. Juni 1953 liefen erste Meldungen über Proteste in Görlitz auf, in Dresden hingegen schien es vorerst ruhig zu bleiben. Vorerst, denn mit Schichtbeginn im Dresdner SAG-Betrieb Sachsenwerk berichteten Kollegen aufgeregt, was sie Tags zuvor in Berlin erlebt und gesehen hatten.
Exkursion nach Berlin
Es sollte für 30 Genossen der SED-Parteibetriebsschule des Sachsenwerks ein lehrreiche und spannende Exkursion in die Hauptstadt der DDR werden. Auf der Baustelle der Stalinallee sollten sie am 16. Juni die neuen Baumethoden kennenlernen und mit den Bauarbeitern ins Gespräch kommen. Was sie dann aber am Tag danach ihren Kollegen im Sachsenwerk berichteten, hatte wenig mit fortschrittlichen Baumethoden und vorbildlichen Genossen zu tun.
Die Nachricht, dass die Berliner Arbeiter einfach die Arbeit niedergelegt hätten und lautstark gegen die Verhältnisse in der DDR protestierten, verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Betrieb. Auch der Parteisekretär erfuhr davon, glaubte aber mit einer kurzen Ansprache im Betriebsfunk die Aufregung wieder einfangen zu können. Er forderte die Kollegen auf, die Normerhöhungen auf freiwilliger Basis zu akzeptieren und auf die Partei zu vertrauen. Damit erreichte er genau das Gegenteil. Erste Abteilungen legten die Arbeit nieder und versammelten sich im Hof des Sachsenwerks. Bald streikte fast die gesamte Belegschaft. Die Betriebsfunktionäre versuchten die aufgebrachte Belegschaft zu beruhigen und sie wieder zur Arbeit zu bewegen. Doch erfolglos.
Initialzündung bei den Sachsenwerkern und bei ABUS
Gegen 10 Uhr zog ein erster Demonstrationszug zum Betrieb VEB „Sächsischer Brücken- und Stahlhochbau", bekannt unter dem Namen ABUS. Hier war die Lage bis zur Ankunft der Sachsenwerker ruhig geblieben. Am Betrieb angekommen, forderten die Sachsenwerker ihre Kollegen dazu auf, sich den Protesten anzuschließen. Die Betriebsfunktionäre versuchten auch hier erst einmal die Arbeiter vom Protest abzuhalten. Doch auch hier scheiterten die Versuche. Etwa 1.500 Arbeiter versammelten sich in der großen Montagehalle und diskutieren über das weitere Vorgehen.
Ein kaufmännischer Angestellter von ABUS, Wilhelm Grothaus, war es schließlich, der dort die Proteste der Arbeiter schließlich in fünf Forderungen zusammenfasste: „1. Rücktritt der Regierung, 2. freie und geheime Wahlen, 3. Freilassung der politischen Gefangenen, 4. Senkung der HO-Preise und 5. Aufhebung der Verschlechterung in der Sozialfürsorge". Im Anschluss daran wählte die Belegschaft ein Gremium unter dem Vorsitz von Grothaus, um die weiteren Schritte zu koordinieren.
Die Ereignisse im Sachsenwerk und bei ABUS waren die Initialzündung für die Proteste in Dresden. Viele Betriebe schlossen sich den zahlreichen Demonstrationen in die Altstadt an. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Straßenbahnhofs Reick, die Hutfabrik Niedersedlitz oder auch Ensemblemitglieder der Staatsoperette folgten den Aufforderungen ihre Kolleginnen und Kollegen und folgten den Demonstrationszügen.
Die Sicherheitsbehörden, stets über den Verlauf der Demonstrationen auf dem Laufenden, bereiteten bereits den Empfang der Protestierenden in der Altstadt vor. Man rechnete mit einer Kundgebung auf dem Theaterplatz und informierte darüber die sowjetische Kommandantur. Die teilte mit, das der Ausnahmezustand gegen 14 Uhr verhängt werden sollte.
Demonstration auf dem Theaterplatz
Währenddessen hatten sich bereits mehrere tausend Demonstranten auf dem Post- und Theaterplatz versammelt. Aus allen Himmelsrichtungen kamen die Menschen in die Altstadt, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Kräfte der Volkspolizei und sowjetische Einheiten trafen gegen 16 Uhr auf dem Theaterplatz ein, nachdem bereits eine halbe Stunde zuvor der Ausnahmezustand verhängt worden war. Nach erfolgreicher Räumung des Theaterplatzes drängten sich die Menschenmassen auf dem Postplatz. Einige wollten das Telegrafenamt stürmen, welches bereits durch die Volkspolizei und sowjetische Truppen besetzt worden war. Nur Warnschüsse konnten die Stürmung verhindern. Weitere Demonstrationszüge etwa vom Sachsenwerk ausgehend, wurden bereits nach wenigen Metern durch die Rote Armee aufgelöst. Die Lage begann sich zuzuspitzen.
Bereits um 10 Uhr waren sowjetische Einheiten des 92. Karpaten-Rotbanner-Schützenregiments in Gefechtsbereitschaft gesetzt worden und besetzten wichtige Orte in der Stadt. Fußpatrouillen und Kradschützen trieben Demonstranten auseinander und verhinderten an vielen Stellen der Stadt ein weiteres Aufflammen der Proteste. In der Nacht vom 17. auf den 18. Juni 1953 blieb es aufgrund der Ausgangssperre in Dresden weitgehend ruhig.
Am 18. Juni flammten die Proteste erneut auf. Am Abend hatten sich auf dem Postplatz erneut Demonstranten versammelt. Der Aufforderung, den Platz zu räumen, kamen sie nicht nach. Diese Weigerung wurde mit scharfen Schüssen von der Roten Armee beantwortet. Drei Jugendliche wurden dabei verletzt. Der Aufstand war gescheitert.
Niederschlagung des Aufstandes
Mit Unterstützung der Roten Armee wurde der Aufstand in der DDR niedergerungen. In vielen Städten setzte bereits wenige Tage nach dem Aufstand die Verfolgung derjenigen ein, die die Proteste organisiert oder sich daran beteiligt hatte. In politischen Strafverfahren, in den die Prozessführung oftmals durch das ZK der SED beeinflusst worden war, wurden sogenannte „Provokateure" und „Rädelsführer" zu drakonischen Haftstrafen verurteilt. Mitte 1954 berichtete das Justizministerium dem Politbüro, das nach 5.583 Ermittlungsverfahren 1.526 Personen verurteilt worden waren. Darunter befanden sich zwei Todesurteile.
Hinweis: Diese Zusammenfassung der Ereignisse basiert auf: Roth, Heidi: Der 17. Juni 1953 in Sachsen, Köln 1999.